Klaudia Bachinger war ohne Job als sie mit zwei Partner*innen die digitale Jobplattform WisR für Ältere gründete. 2020 schaffte sie es in das heiß begehrte Google-Mentoringprogramm „Immersion: Female Founders“. Doch dann kam alles anders als geplant. Über die Achterbahnfahrt am Steuer eines Wiener Jungunternehmens.
Von Doris Passler
Klaudia Bachinger glaubt an Lösungen. Foto @ Oliver Wolf
Du bist eine sehr junge Frau und seit drei Jahren Unternehmerin.
Ja, ich bin 34 (lacht).
Dein Start-up WisR stellt ältere Menschen in den Mittelpunkt. Wie bist du darauf gekommen?
Über ein paar Umwege.
Im Musikgymnasium machte ich eine Sopranausbildung. Ich träumte von einem musikalischen Beruf, merkte aber bald, wie schwierig es ist, in der Musik Fuß zu fassen. Also ging ich nach der Matura als Au-pair nach Frankreich und stellte fest, dass mir Sprachen liegen. Wahrscheinlich wegen meines musikalischen Gehörs. Auf der Uni wurden es dann Romanistik, Politikwissenschaften und Publizistik.
Empathie und Zuhören sind zwei deiner Talente. Letztlich führten sie zur Business-Idee. Erzähl.
Ich hab‘ acht Jahre studiert und jobbte anschließend in einer Filmproduktion, die Dokumentationen für den ORF machte. Ich lernte Schnitt, Redaktion und Recherche. Der Schlüsselmoment war eine Doku, die wir mit Hanno Settele über Megatrends und den demographischen Wandel produzierten. Das Credo:
In der Silver Society werden Ältere als altes Eisen abgeschrieben. Sie wünschen sich aber eine Bedeutung, eine Rolle in der Gesellschaft.
Das hat mich auch privat berührt. Meine Oma wurde im Alter depressiv. Sie fühlte sich ungebraucht und war sehr einsam. Nachdem ich meinen Job beim Film gekündigt hatte, fühlte ich mich selbst ein wenig verloren und orientierungslos. Ich packte kurzerhand meinen Rucksack und pilgerte 750 Kilometer nach Rom.
Auf dem Franziskusweg begegnete ich vielen Senior*innen, die sich die Chance wünschten, ihren Erfahrungsschatz an die Gesellschaft weiterzugeben.
Diese Brücke wolltest du schlagen?
Ich wollte die Bedürfnisse der Wirtschaft mit dem wertvollen Wissen und den Erfahrungen von Menschen im Ruhestand matchen. Ein guter Freund sagte: Super Idee, mach‘ es einfach. Ein Jahr lang hab’ mir alle Infos zu Start-ups reingezogen, Workshops besucht und in Co-Working-Spaces, bei Veranstaltungen und Freunden nach Leuten gesucht, die mit mir gründen wollen und fand schließlich meine Co-Founder Martin Melcher und Carina Roth.
Man braucht einen langen Atem als Gründer*in.
Hätte ich gewusst, wie schwierig es ist, ein digitales Produkt zum Fliegen zu bringen, hätte ich es vielleicht nicht gemacht (lacht).
Manchmal gut, wenn man nicht alles weiß.
Die Naivität war wichtig. Für mich war alles neu: die Gründung, die Skalierung, die ja jedes Start-up anstrebt, die Finanzierung, Investor*innengespräche und die Branche Human Resources.
Was war das Schwierigste am Anfang?
Die Einsamkeit. Das denkt sich wahrscheinlich keiner. Founder*innen sind ziemlich einsam.
Keiner meiner Freunde oder meine Familie verstanden, womit ich zu kämpfen hatte, weil sie alle keine Unternehmen gegründet haben.
Wie müssen Founder*innen gestrickt sein?
Einerseits muss man die Vision haben, die Welt verändern zu können. Anderseits muss man im Alltag strukturiert und effektiv arbeiten. Muss sich um alles kümmern. Nichts ist zu minder. Dem Team muss es gut gehen.
Man bewegt sich also zwischen den beiden Extremen: Gespräche mit Investor*innen über siebenstellige Millionenbeträge zu führen und Klopapier fürs Büro zu kaufen.
Wie steht WisR aktuell da?
Corona und die Wirtschaftskrise haben gleich im März und April 2020 in der gesamten Human Ressource Branche zu einem Hiring-Freeze geführt. Uns sind zunächst Projekte und Businessmodelle weggebrochen. Heute suchen etwa 149.000 Menschen über 50+ Arbeit (Anm. AMS-Zahlen zur arbeitslosen Personen und SchulungsteilnehmerInnen über 50).
Die bewegen sich auf dünnem Eis. Nach Krisen brauchen Menschen über 50 doppelt so lange, um wieder einen Job zu finden.
Mehr Jüngere sind auf dem Markt und werden vorgezogen.
Wer sucht über WisR Projekt-, Teilzeit-, oder Minijobs?
Senior Talents auf unserer Plattform kommen aus allen möglichen Branchen wie Banken oder Versicherungen, Tourismus und Gastronomie, Sales bis Accounting. Seit dem ersten Lockdown im März 2020 sank die Nachfrage der Firmen allerdings signifikant und wir konnten kaum Matches generieren. So kann man nicht nachhaltig wirtschaften.
Die Kehrwende gelang mithilfe des Mentoring-Programm „Immersion: Female Founders“ von Google?
Das siebenmonatige Programm startete im März 2020. Alle Founder*innen und Mentor*innen sollten sich in Berlin zum Kick-off treffen. Wir waren so aufgeregt. Plötzlich dann die Lockdowns. Google hat extrem agil reagiert. Das Programm wurde von heute auf morgen auf virtuell umgestellt, die Inhalte an die neuen Umstände angepasst. Nicht nur WisR auch andere teilnehmenden Start-ups waren angegriffen. Projekte, Kund*innen und Investor*innen brachen weg. Die Unsicherheit war größer denn je. Geschäftsmodelle standen auf dem Prüfstand. WisR verlor kurz vor dem Abschluss einen riesigen Investor aus Deutschland. Wir mussten dringend neues Geld aufstellen. Google stellte uns sofort Finanzexpert*innen als Mentor*innen zur Seite.
Was war dein Lightbulb-Moment?
In dieser Situation hab‘ ich gelernt, meine ursprüngliche Idee loszulassen.
Der Markt hatte sich gravierend verändert. Das fühlt sich kurz mal wie Scheitern an.
Du bist aber deinem Motto treu geblieben: Flexibel sein. Sich aufrappeln. Sich neu aufstellen.
Über den Sommer haben wir an New Biz Ideen gearbeitet. Wir haben uns vorgestellt, welche Bedürfnisse es in zwei Jahren auf dem Markt geben wird. Daraus entstand eine neue Softwarelösung für Unternehmen namens WisREnterprise.
Was kann Eure Enterprise Solution?
Sie hilft großen Unternehmen beim wertschätzenden Off-Boarding in den Ruhestand, in die Karenz oder ins Sabbatical.
Wir haben uns gefragt: Wie läuft die Retirement-Journey ab? Viele Firmen wissen nicht einmal, wer in den Ruhestand geht und was es an Nachfolger*innen zu übergeben gibt.
Da geht irrsinnig viel Wissen und Erfahrung verloren. Wir bieten dafür eine praktikable Softwarelösung.
Ältere Ex-Mitarbeiter*innen werden zu Senior Expert.
Und erfahren Wertschätzung, weil der ehemalige Arbeitgeber und die Kolleg*innen mit ihnen in Kontakt bleiben. In Spitzenzeiten oder bei Fragen hilft ein rascher Blick ins firmeneigene Senior Expert Pool, wo Ex-Mitarbeiter*innen mit ihrem Profil, Projekten, Auslandserfahrungen oder Fremdsprachenkenntnissen hinterlegt sind. Ist ihr Wissen gefragt, holt man sie als Projektmitarbeiter*innen, Berater*innen oder Mentor*innen zurück an Bord.
Euphorie, Erfolg, Scheitern. Ein Start-up ist eine Achterbahnfahrt. Woher nimmst du deine Energie?
Wenn mir jemand sagt, das funktioniert nicht, dann wird’s spannend. „Geht nicht“, gibt’s für mich nicht. Ich glaube an Lösungen.
Investor*innen schätzen dieses Mindset.
Business Angels investieren in Menschen und in Teams, weniger in eine Idee.
Gründer*innen, die problemorientiert sind, wollen ein bestimmtes Problem lösen. Deshalb geben sie nie auf. Scheitert ein Produkt, lernen sie daraus – und entwickeln das nächste. So bin ich gestrickt. Produktverliebte Gründer*innen hingegen, geben auf.
Was wollt ihr 2021 erreichen?
Im ersten Quartal streben wir drei Abschlüsse mit großen Unternehmen an, um wieder Kapital von Investor*innen aufnehmen zu können und zu wachsen.
Neu ist auch euer Podcast WisR Talks.
Wir holen CEOs, HR-Chefs großer Unternehmen, Demografie-Expert*innen und Ökonom*innen vor das Mikrofon, positionieren uns mit dem Thema Generationengerechtigkeit am Arbeitsmarkt. Ich bin mir sicher, dass dieser Austausch Unternehmen und uns zu neuen Business-Ideen bringen wird.
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