Pfizer gehört gemeinsam mit dem deutschen Biotechnologie-Unternehmen BioNTech zu jenen Unternehmen, die einen COVID-19 Impfstoffkandidaten in Entwicklung haben. Der Impfstoff befindet sich bereits in der entscheidenden letzten Prüfungsphase. Ein Gespräch mit Robin Rumler, Geschäftsführer der Pfizer Corporation Austria, über Verantwortung und Tempo, New Work und bahnbrechende Therapien und darüber, warum Medikamente weder in den Badezimmerschrank noch in den Mülleimer gehören.
Von Doris Passler
Robin Rumler, Foto © maupi/Chris Saupper
Salon Profession: Pfizer ist im Wettlauf um einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 ganz vorne mit dabei. So schnell wurde eine Impfung noch nie entwickelt. Wie ist das möglich?
Robin Rumler:
Die Welt braucht eine Antwort auf Corona.
Vielen war und ist beim Ruf danach nicht klar, dass eine Impfung gegen ein bisher unbekanntes Virus nicht von heute auf morgen entwickelt werden kann, sondern wichtige Phasen in der klinischen Prüfung durchlaufen muss. Sind die Daten aus den klinischen Phasen überzeugend, werden alle Informationen zusammengetragen und aufbereitet, um bei den Zulassungsbehörden die Zulassung zu beantragen. Und natürlich unterliegen auch die Produktion und der Vertrieb sehr strengen Auflagen. Das alles kostet Zeit und Geld. Dennoch hat diese Pandemie bei all den drastischen Folgen, die sie hervorruft, zugleich für eine noch nie dagewesene Bündelung von Kräften gesorgt:
Firmen und Forschungsteams arbeiten zum Teil weltweit zusammen und nutzen Synergien. Die Behörden haben ihre Ressourcen gebündelt und die Prozesse beschleunigt. Was die Qualität und Sicherheit eines zuzulassenden Impfstoffes angeht, gibt es aber auch in dieser speziellen Situation keinerlei Kompromisse.
Wann kommt die Impfung?
Wir testen den von uns in Kooperation mit BioNTech entwickelten mRNA-Impfstoffkandidaten bereits in der finalen klinischen Phase III. Übrigens ist auch eine österreichische Firma beteiligt, nämlich Polymun aus Klosterneuburg. Sie stellt wichtige Komponenten für die Produktion des Impfstoffkandidaten her. Die ursprünglich geplante Zahl von 30.000 Proband*innen in dieser Studie wurde inzwischen auf 44.000 erhöht. Es können nun auch jüngere Personen ab 12 Jahren teilnehmen, sowie Personen mit HIV oder Hepatitis C und B. Aktuell läuft die Studie in den USA, in Brasilien, Argentinien und in Deutschland an 125 Kliniken.
Ich bin sehr optimistisch.
Der Corona-Impfstoffkandidat ging Anfang Oktober (2020) in den Zulassungsprozess und die europäische Arzneimittelbehörde EMA prüft den Wirkstoff in einer sogenannten Rolling-Submission. Das heißt, dass schon jetzt die Begutachtung der bereits vorliegenden Daten beginnt, während die klinische Prüfung der Phase III noch läuft.
Mit der EU ist eine Liefervereinbarung von 200 Millionen Impfdosen mit einer Option auf weitere 100 Millionen Impfdosen geplant. Bis Ende 2021 sollen dann 1,3 Milliarden Impfstoffdosen für den Weltmarkt hergestellt werden. Was bedeutet das für Pfizer?
Für uns und BioNTech wäre das der bisher größte Initialauftrag für die Lieferung von Impfstoffdosen.
Die Impfstoffdosen für Europa sollen bei BioNTech in Deutschland sowie bei Pfizer in Belgien hergestellt werden. Damit stärken wir Europa als Produktionsstandort. Die Verteilung der Impfstoffdosen an die 27 EU-Mitgliedsstaaten würde die Kommission übernehmen.
Unser Ziel ist es, einen gut verträglichen und wirksamen Impfstoff zu entwickeln, der dazu beitragen kann, diese Pandemie in Europa und der ganzen Welt zu adressieren.
Werfen wir einen Blick zurück: Hätten Sie sich als junger Medizinstudent gedacht, dass Sie einmal eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung einer Pandemie einnehmen?
Nein. Man denkt ja gar nicht soweit in diesem Alter.
Sie wollten ursprünglich einfach nur Arzt werden?
Ich habe mit voller Freude Medizin studiert und parallel in einer Werbeagentur gejobbt. Damit hielt ich mich finanziell über Wasser.
Wo war das?
Bei der Wiener Filmhauswerbung, die auf Kinofilm spezialisiert war. Es gibt sie heute nicht mehr. Wir haben große Kinopremieren mit Celebrities wie John Travolta organisiert.
Das ganze Tamtam hat mich begeistert.
Nach dem Studienabschluss war der Spaß vorbei?
Ich startete mit einer Ausbildungsstelle als Vollzeitmediziner im Wiener AKH. Dort merkte ich aber bald, dass mir etwas fehlt.
Eine Ausbildungslücke öffnete mir das Tor in die Zukunft.
Einer Zukunft, der sie bis heute treu sind.
Absolut. Auf Jobsuche dachte ich mir: Pharma hast du noch nicht drauf, da kannst du etwas lernen. Glücklicherweise konnte ich in einer medizinischen Abteilung einsteigen, so wie die meisten Mediziner*innen.
Was hat Ihnen gefallen?
Ich sah mich als Link zwischen Pharmazie und Medizin. Für mich war das die Chance, das Erklären komplexer Dinge, die Arbeit mit und für Menschen und die Freude am Management zu verbinden.
Schritt für Schritt bin ich immer tiefer in die Pharmawelt eingetaucht.
Über verschiedenste Funktionen im Medizinbereich, im Marketing und Außendienst stand ich irgendwann als Marketingdirektor von Pfizer da und bin seit 2009 Geschäftsführer für Österreich.
Seit Sie in der Pharmabranche arbeiten, ist die Lebenserwartung der Menschen um sechs Jahre gestiegen, auch dank moderner Medikamente.
Richtig, aber das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Wir forschen jeden Tag an Therapien, die die Lebensqualität in den nächsten Jahren weiter verbessern und die Lebenserwartung erhöhen werden.
Das ist ein schönes Gefühl. Dinge auf den Weg zu bringen, damit wir mit besserer Lebensqualität alt werden.
Was viele am gesunden Altern hindert, sind Krebs, neuropsychiatrische Krankheiten wie Alzheimer oder jene 8.000 seltenen Erkrankungen, die schon in jungen Jahren auftreten können und oft viel Leid verursachen. Wo sehen Sie aktuell bahnbrechende Therapien?
Dank enormer Forschungsleistungen bewegen wir uns bei vielen Erkrankungen in Richtung individualisierte Medizin – auch Precision Medicine genannt.
Also weg von one-fits-all?
Heute können wir schon in der Diagnostik durch spezifische Biomarker – also Detektoren – feststellen, welche Erkrankungsform tatsächlich vorliegt. Brustkrebs ist ja nicht gleich Brustkrebs.
Verschiedene Ausprägungen bedürfen unterschiedlicher Behandlungsformen. Je mehr wir über Krankheiten und ihr ganzheitliches Geschehen wissen, desto treffender können wir Wirkstoffe entwickeln, die im Körper genau an der richtigen Stelle eingreifen.
Geben Sie ein Beispiel.
Leukämie war früher oft ein Todesurteil. Heute können wir durch Immunonkologie den Körper mit Substanzen gezielt dabei unterstützen, selber "böse" Zellen zu erkennen und zu bekämpfen – das ist ein riesiger Fortschritt. Früher konnten sich Krebszellen einfach still und ungestört ausbreiten, bis es eben zu spät war.
Seit dem Jahr 2000 kennen wir das menschliche Genom. Unlängst wurden die beiden Biochemikerinnen Emmanuelle Charpentier (Frankreich) und Jennifer Doudna (USA) mit dem Chemie-Nobelpreis für ihre Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas9 ausgezeichnet. Welche Möglichkeiten bietet die Gentherapie etwa bei Erbkrankheiten?
Bluterkrankungen wie die Hämophilie oder Muskelschwächeerkrankungen basieren häufig auf Gendefekten, die durch den Eingriff in den genetischen Code repariert werden könnten.
Die Aussicht, eine schwere Erkrankung mit nur einer Infusion im frühen Stadium zu heilen, ist faszinierend.
Ich bin überzeugt, dass die Gentherapie in den kommenden Jahren bei aller Rücksicht auf ethische Fragen große Fortschritte machen wird.
Ihr Job bringt große Verantwortung mit sich. Warum gehen Sie jeden Tag gerne ins Büro?
Naja, derzeit eher ins Homeoffice (lacht). Es sind drei Dinge: Ich will etwas weiterbringen, das für die Menschen Sinn macht. Ich denke unternehmerisch und bin am wirtschaftlichen Erfolg von Pfizer interessiert. Und ganz entscheidend:
Ich möchte ein Unternehmen führen, indem die Leute gerne arbeiten.
Das dürfte auch der Fall sein, wenn ich mir unsere Mitarbeiter*innenumfragen ansehe. Unsere Arbeitswelt mit meinem Managementteam positiv zu gestalten, macht mir große Freude.
Corona hat das Arbeiten bei Pfizer grundlegend verändert. Wie geht es Ihnen mit Remote Leadership? Wie halten Sie das Unternehmen vom Wohnzimmer aus zusammen?
Ich glaube, es ging mir anfangs wie vielen anderen. Alles ging wahnsinnig schnell kurz vor dem Lockdown und wir hatten eine große Herausforderung:
1,5 Millionen Menschen nehmen jährlich unsere Medikamente ein. Pfizer ist Systemerhalter. Das musste weiter funktionieren.
Wir haben also einfach alle angepackt und improvisiert. Ich bin das beste Beispiel. Ich selbst hatte keine Erfahrung mit Homeoffice, war nicht eingerichtet darauf. Wir haben schnelle Entscheidungen getroffen und die gesamte Firma auf digitales Arbeiten umgestellt. Das Wichtigste war sicher, dass wir unser Team von Anfang an transparent und kontinuierlich darüber informiert haben, wo wir stehen. Es gab ja sehr viel Verunsicherung während der Zeit des Lockdowns. Mittlerweile ist Remote Leadership aber Routine. Gleich nach unserem Interview treffe ich alle Mitarbeiter*innen zum virtuellen Town-Hall-Meeting. Das funktioniert super. Aber wenn ich ehrlich bin:
Wir sehnen uns trotzdem alle nach persönlichen Begegnungen.
Sie haben die Versorgung mit Medikamenten angesprochen. Wie funktioniert der Vertrieb, wenn man Arztpraxen, Apotheken oder Krankenhäuser nicht wie üblich persönlich besuchen kann?
Na ja, das ist speziell. Kontakte sind nach wie vor überall reduziert. Krankenhäuser haben einen regelrechten Schutzwall aufgebaut. Ordinationen waren streckenweise geschlossen und auch jetzt ist die Situation wieder ungewiss bei steigenden Corona-Fallzahlen.
Um unsere Vertriebsleute zu schützen, wählen wir sehr gezielt aus, wo Termine vor Ort gemacht werden.
Bei Dermatolog*innen ist das Risiko einer Ansteckung geringer als bei Infektiolog*innen im Spital.
Der Außendienst berät digital?
Wir sind darauf eingerichtet. Es ist sehr wichtig, dass wir medizinisches Personal genauso gut über Medikamente und ihre Wirkungen aufklären wie zuvor. Das machen wir jetzt hybrid – d. h. wo es geht persönlich, ansonsten virtuell.
Auch Patient*innen sollten besser über ihre Medikation Bescheid wissen. Laut aktueller Pfizer-Umfrage lagern und entsorgen viele ihre Medikamente falsch.
Drei von zehn Befragten bewahren Medikamente im Badezimmer auf, wo es zu feucht und zu warm ist. Das kann die Wirkung beeinträchtigen.
Zu sorglos ist aber auch der Umgang bei der Entsorgung: Fast jede*r Fünfte wirft Medikamente in Tabletten- oder Kapselform in den Restmüll, 25 Prozent leeren flüssige Arzneimittel in die Toilette, ins Waschbecken oder in den Mülleimer. 27 Prozent aller Spritzen und Nadeln und drei Viertel (73 Prozent) aller Pflaster mit medizinischen Wirkstoffen landen ebenfalls dort.
Was tut Pfizer dagegen?
Wir klären mit der Initiative "Meine Medizin. Mein Beitrag" über Social-Media-Kanäle auf und schaffen Bewusstsein für den fachgerechten Umgang mit Medikamenten – der Umwelt zuliebe. Was wir auch verbessern wollen: Nur jede*r Zweite (49 Prozent) erkundigt sich aktiv nach Wechselwirkungen bei der parallelen Einnahme von rezeptpflichtigen Medikamenten in Kombination mit rezeptfreien Produkten aus der Apotheke. Es gibt also viel zu tun.
Klingt so. Ich schau jetzt jedenfalls mal im Badezimmer nach, ob sich das eine oder andere Medikament dorthin verirrt hat und drücke die Daumen für eine baldige COVID-19 Impfung.
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