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AutorenbildDoris Passler

Ich will digitale Spielkultur fördern

Jogi Neufeld war ein Bub vom Land. Die Teenagerzeit im Schweizer Rheintal prägt den passionierten Sammler von Vinylplatten und Retrospielkonsolen, Ex-Clubhost und Kopf der Games-Kulturinitiative SUBOTRON bis heute. Seine Leidenschaft gilt der Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Videogames. Zuletzt hat er ein digitales Spiel mitentwickelt, das Jugendliche über Extremismus aufklärt.

Im Gespräch mit Doris Passler


Manche seiner Sammlerstücke würde Jogi Neufeld niemals hergeben: Die erste Konsole, die es jemals gab: eine Original Magnavox Odyssey aus 1972, und den ersten Pac-Man-Automaten aus 1980, damals Puckman genannt. Photos © Christoph Liebentritt


Salon Profession: Du hast gerade das interaktive Game Decount mitentwickelt. Es zeigt auf, wie Jugendliche durch falsche Entscheidungen in den Sog von Radikalisierung geraten können. Wie bist du dazu gekommen?


Jogi Neufeld:

Ich wollte immer schon an einem Serious Game mitarbeiten, also einem Spiel, bei dem es nicht um Unterhaltung, sondern was Ernsthaftes geht.

Zum EU-Projekt bin ich mitten drinnen als Trouble-Shooter gekommen, weil das diverse Team aus Programmierer*innen, Illustrator*innen und Institutionen mit der Idee nicht weiterkam. Wir wollten Jugendlichen die Fallstricke von Extremismus und Radikalisierung offenlegen. Geworden ist es eine digitale Learning Journey in Form fingierter Instagram-Stories, Messenger-Channel in Comic-Design und Handy-Videos. Man kann es ohne Downoad am Smartphone oder PC spielen, sehr niederschwellig.



Wer ist die Zielgruppe?


Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren. Decount soll in erster Linie im pädagogischen Kontext eingesetzt werden. Der begleitende Film "Das Experiment" geht auf Social Media durch die Decke.


Das Video "Das Experiment" ist Teil des Projekts Decount des International Security Fund der Europäischen Kommission zur Prävention von Extremismus und zur Deradikalisierung. www.extremismus.info.


In einem diversen Team zu arbeiten, war für dich neu?

Das war ich nicht gewöhnt. Es gab viele Meinungen und Lösungsmöglichkeiten. Ich konnte nicht wie üblich nach meinem Gutdünken entscheiden, sondern musste Kompromisse finden.

Aber ich hab' gelernt, dass ich mich für ein Ergebnis begeistern kann, auch wenn ich es anders gemacht hätte.

Als Jugendlicher wolltest du ganz was anderes machen.

Mich hat nur Musik, Musik, Musik interessiert. Ich wollte unbedingt in einem Plattengeschäft arbeiten.

Du sagst, deine Teenagerzeit in den 80ern hat dich nachhaltig geprägt.

In Wahrheit zieh' ich das Do-it-yourself-Credo von Punk bis heute durch:

Jeder dachte damals: 'Ich brauch niemanden, der mir zeigt, wie es geht. Ich kann alles selber machen.'

Das hat eine Dimension von Unabhängigkeit, die mir heute genauso wichtig ist wie damals. Ein bisschen geh ich da vielleicht nach meinem Opa, der ein totaler Freigeist war. Mein Vater hingegen war ein ängstlicher Mensch. Von ihm hab' ich aber das indirekte Interesse an der Welt übernommen, sie über Bücher oder Musik zu erfahren.

Mit 15 hast du Bands in die Schweiz geholt und erste Konzerte in deinem Dorf im Rheintal organisiert.

Ja. Und in umliegenden Kleinstädten. Es klingt wie aus der Zeit gefallen. Alles lief analog. Ich war auf der Jagd nach Vinylplatten auf Flohmärkten, hab' Bands aus Portland und sonst wo aus der Welt Briefe geschrieben und sie in die Schweiz geholt.

Man hat mich öfters früh morgens mit der Abendkasse an der Landstraße angetroffen – per Autostopp auf dem Heimweg nach einer langen Nacht mit viel Lärm in den Ohren.

Welche Genres waren deine?

Alles was wild, frech und unkonventionell war. Punk, New Wave, Indie. Alles mit Gitarren.

Gab's Lieblingsbands?

Hunderte. Da will ich keine hervorheben. (lacht)

Seit 25 Jahren lebst du in Wien. Dein Traum vom Plattenladen ging bisweilen nicht auf.

Nein. Aber beruflich ging's lange nur um Musik. Ich hatte mir ein respektables internationales Netzwerk aufgebaut und hab' für die Wiener Arena als Booker von Bands gearbeitet. Nach zwei Jahren war's genug. Ich wollte meinen eigenen Club machen: Das war dann viele Jahre das "SUB" im Flex. Jeden Donnerstag. Auf Österreich-Tourneen waren wir auch. Wir spielten Drum 'n' Bass, Hip Hop, Dance Hall elektronische Musik, die was anderes als gerade Beats wie in Techno oder House bot. Irgendwann war mir das zu langweilig und ich öffnete das Programm für experimentelle Musikrichtungen. Das kam weniger gut an.

Das Flex am Donaukanal ging ja aus der Wiener Punkszene der 90er hervor. Der Name "SUB" passte gut zum Ort.

Ja und zum Programm.

"SUB" meinte: unter der Oberfläche, oder unter dem Radar des Mainstreams.

Und eigentlich begeistert mich das immer noch, weil was Etabliertes find' ich schnell fad. Als ich den Club im Flex beendet habe und im Wiener WUK nochmals eine Club-Serie startete, habe ich mir gedacht: Das kann ich jetzt nicht mehr "SUB" nennen. Irgendwie kam mir dann der Sci-Fi-Film „TRON“ in den Sinn, den ich großartig fand und so taufte ich die Club-Serie fortan "SUBOTRON".

Das war vor mehr als 15 Jahren. Dann gab's es einen weiteren Wendepunkt. Du wurdest Vater.

Mein Lebenskonzept passte nicht mehr. Ich war ja tagsüber im Familienleben unabkömmlich.

Sich die Nächte um die Ohren schlagen und damit Geld verdienen gingen nicht mit dem Vaterdasein zusammen. Auch aufgelegt habe ich nur noch selten.

Stimmt, du warst mal DJ Captain Joghurt. Was für ein Name. Herr Kapitän?

Ein alter Schweizer Freund hat mich schon immer Captain genannt. Keine Ahnung, warum. Und Joghurt sagte er zu mir, wenn er mich pflanzen wollte, weil das ein deppertes Wort ist. Und irgendwann haben wir "Moby Dick" geschaut, und als Captain Ahab erschien, sagte er zu mir: Captain Joghurt. Und ich hab‘ mir gedacht: Hey, das ist ja ein supercooler DJ-Name.

Du hast dem Nachtleben den Rücken gekehrt. Was war dein neues Businesskonzept?

Es gab keines. Nur eine spontane Idee.

Ich lernte den Kurator des quartier21 im Wiener MuseumsQuartier kennen und erzählte ihm von meiner riesigen Retro-Spielkonsolen-Sammlung. Ich dachte mir, es wäre cool, sie öffentlich zugänglich zu machen.

Auf meinen Streifzügen durch Flohmärkte hielt ich immer Ausschau nach alten Video-Spielkonsolen aus den 70er Jahren aufwärts.

Über die Jahre kam einiges zusammen. Ich zog spontan in der Electric Avenue im MuseumsQuartier ein. Den Ort nannte ich SUBOTRON. Er war Permanentausstellung, mein Büro und bald schon Shop. Meine Ex-Frau war froh, weil sie das viele Zeugs in der Wohnung schon total nervte.


Was fasziniert dich an dem Zeugs?

Games und Konsolen waren für mich immer spannende Designobjekte. Und sie sind als Kulturgut unbegreiflich. Bis heute werden sie häufig sehr einseitig rezipiert – als reine Zeitverschwendung, als etwas Gefährliches, das süchtig und gewalttätig macht.

Das wollte ich ändern.

Wie hast du den SUBOTRON-Shop finanziert?

Anfangs wollte ich nichts von meinen Sammlerstücken hergeben. Aber ich musste Miete zahlen und so begann ich Konsolen und Merchandising-Artikel zu verkaufen. Das sprach sich in der Szene herum.

Die Nerds und Gamer*innen haben sich aus ihren Wohnzimmern losgerissen, ihren Pizzas und Energydrinks stehen lassen und ihre bleichen Gesichter hergezeigt. Im SUBOTRON trafen sie auf Gleichgesinnte und erkannten, dass sie nicht alleine waren.

Sie erkannten, dass sie etwas extrem Cooles machen. Wir gründeten die Games-Kulturinitiative SUBOTRON, um digitale Spiele als Kulturgut zu vermitteln und dafür zu sorgen, dass sie positiv rezipiert werden. Das tun wir bis heute, obwohl ich den Shop im Museumsquartier seit Jänner 2020 nicht mehr betreibe.

Warum muss man digitale Games als Kulturgut vermitteln? Sie sind doch omnipräsent.

Schon, aber man kennt ja nur einen kleinen Ausschnitt. Die ganze Kommerzschiene. Die Geschichte und Kultur dahinter ist weitgehend unbekannt. Und auch das Potenzial von Games.

Wir haben drum internationale Expert*innen von Game-Studies, Künstler*innen, Pädagog*innen, Entwickler*innen aus der Games-Branche zu Vorträgen eingeladen, die mit Szene und Publikum diskutierten und einen theoretischen Zugang zum Medium boten. Das war neu und das machen wir immer noch.

Ende der Nullerjahre wandelte sich die Branche massiv.

Die Produktionsmittel für Videospiele demokratisierten sich: Game-Engines – also Technologien, mit denen digitale Spiele entwickelt werden – waren plötzlich gratis zugänglich und funktionierten viel intuitiver.

Ohne viel Know-how und den finanziellen Rückhalt von Konzernen, konnte man mit dem Medium experimentieren. Smartphones kamen auf den Markt und PCs eröffneten simple Vertriebsmöglichkeiten nach dem Motto "gib mir 30 Prozent und ich verkaufe dein Produkt online".

Neben den Spielewelten etablierter Konzerne taten sich vielfältige neue Zugänge von Games auf.

Das wurde durch den extremen Paradigmenwechsel möglich:

Es brauchte keine großen Player oder Publisher mehr. Wilde Teams oder Einzelpersonen konnten sich in dem Medium künstlerisch ausdrücken. Plötzlich entstanden Nischenspiele, die keine große Aufmerksamkeit erlangten, aber sehr privaten Zugänge vermittelten.

Das waren die Zeiten, als es Videospiele zum Thema Geschlechtsumwandlung oder Depression gab. Ähnlich wie ich den 80ern den unbekannten Punkbands aus Portland nachgejagt bin, wollte ich jetzt alles über sogenannte Indie-Spiele wissen und sie publik machen.

SUBOTRON kümmerte sich auch um die Förderung des Nachwuchses der lokalen Games-Szene.

Wir haben Leute, die mit einem Game, einer Technologie oder einem Marketingkonzept erfolgreich waren, zu Talks und Workshops eingeladen. Sie haben ihr Wissen weitergegeben, wie man auf dem Markt besteht.

Du sagst, die Potenziale von Games sind längst nicht ausgeschöpft.

Wirtschaftlich sind Videospiele total etabliert und ein einträgliches Business. Das gilt für Games wie Fortnite die Suchtkomponenten und Belohnungssysteme in sich tragen. Bei Egoshooter-Spielen geht es meist darum, das Interface – also die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine zu beherrschen. Das ist das, was die Leute langläufig von Videospielen wahrnehmen.

An den Schnittstellen des Mediums zu anderen Disziplinen wie Kunst, Kultur, Architektur oder Gesellschaft gibt es aber noch viel mehr.

Das will ich aufzeigen, wenn ich etwa als Kurator einen Games-Schwerpunkt bei der Design Week konzipiere oder bei der Vienna Biennale mitmache.


Was findest du an Videogames gut?

Videogames bieten ein Erlebnis, bei dem man alles ausprobieren kann, ohne wirklich zu sterben.

In sogenannten "Walking Simulators" oder "Open World"-Spielen gibt es kein Ziel, keinen Sieg, sondern nur Erfahrungen.

Also virtuelle Welten, um alles zu erforschen?

Ja. Darin können sich Spieler*innen völlig frei bewegen. Zum Beispiel im 3D-Universum von "Second Life", wo man jegliche Identitäten annehmen kann, jemand aus Star Wars oder ein Plüschhase sein kann. Oder die 3D-Welt von "Everything" des irischen Künstlers David Reilly.

Er lädt Spieler*innen in ein ganzes Universum, um in die Rolle eines Atoms, Staubkorns oder einer Supernova zu schlüpfen.

Dafür gab's vor zwei oder drei Jahren den Ars Electronica Preis. Übrigens war das einer der seltenen Fälle, wo sich das Festival der Zukunft dem Thema Games gewidmet hat. Das nur als Randnotiz.

Die Branche boomt. 150 Milliarden Dollar Umsatz global und ein Wachstum von 10 Prozent seit Jahren. Dennoch ist es schwer, Gelder für die Vermittlung digitaler Spielkultur zu gewinnen. Warum?

Das liegt an der Struktur der Branche. Es gibt nur einen großen Player hierzulande – THC Nordic – und die haben kein Interesse, österreichische Produzent*innen zu fördern. Von den Locals ist Bongfish mit 100 Mitarbeiter*innen am größten. Ansonsten besteht die Branche aus Teams von 5-10 Mitarbeiter*innen, Quereinsteiger*innen oder Student*innen, die FH-Projekte professionalisieren wollen.

Dennoch ist es SUBOTRON gelungen, 2017 im Semperdepot mit der Play Austria die erste Messe für Österreichs Gaming-Branche zu veranstalten.


Österreich hat erstmals gezeigt, was das Land in puncto Games hervorbringt. 60 österreichische Firmen, Initiativen und Universitäten und 3.000 Besucher*innen waren bei der Leistungsshow dabei. Ich versuche gerade eine zweite Auflage zu finanzieren. Durch Corona ist es nicht leichter geworden. Aber genau diese Schwierigkeiten treiben mich an, um ein verrufenes Medium auf die Bühne zu bringen.


Du hast eine Idee in der Schublade.

Mir schwebt sowas vor wie das AzW (Anmerkung: Architekturzentrum Wien) für Games.

Ich hätte gerne einen Ort, der Co-Working Space, Bibliothek, Museum, Veranstaltungsort in einem ist aber eben für das Medium Videospiele.


Der SUBOTRON-Shop im MuseumsQuartier ist zu. Wo vernetzt sich die Szene aktuell?

Die Veranstaltungsreihen gehen ja wie gehabt weiter. Ansonsten gibt es ein neues Format: SUBOTR-on-TOUR. Jeden Monat arbeite ich vom Office einer anderen lokalen Gaming-Firma aus – zuletzt bei Playful Solutions. Ich schlage dort mein Büro auf, tauche in deren Arbeit ein, interviewe die Leute zu ihren Projekten und blogge dazu.

Letzte Frage: Welche Retro-Spielkonsole aus deiner Sammlung würdest du niemals hergeben?

Die erste Konsole, die es jemals gab: eine Original Magnavox Odyssey aus 1972 und den ersten Pac-Man-Automaten aus 1980, damals Puckman genannt. Die Geräte sind immer noch funktional, und sogar die Originalverpackung der ersten Konsole habe ich noch.

Jogi Neufeld setzt sich mit der Games-Kulturinitiative SUBOTRON für eine breite wissenschaftliche, wirtschaftliche, soziale, gesellschaftspolitische und pädagogische Auseinandersetzung mit Computer- und Videospielen ein.

Danke an © Christoph Liebentritt für die Photos



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