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AutorenbildDoris Passler

Was für die Jungen relevant ist, ist für mich relevant

Der Co-Intendant der Diagonale, Peter Schernhuber, über die Aufbruchstimmung in der Provinz, prägende Wegbegleiter, seine frühe Karriere in der Filmbranche, Kultur als Politikum und die Kunst, junge Generationen trotz boomender digitaler Medienplattformen für Kino zu begeistern, gesprochen. Eine breite Auffassung von Bildung hat einiges damit zu tun.

Im Gespräch mit Doris Passler



Geht es um Film, kann Peter Schernhuber Bände sprechen. Schon während des Studiums wurde Kino zum Beruf.

Foto © Diagonale/Natascha Unkart


Salon Profession: Erste Berührungspunkte mit dem Filmfestivalbetrieb hattest du mit 16.


Peter Schernhuber: Ich bin aus Wels und als Jugendlicher kam mir die kulturelle Aufbruchsstimmung in der Provinz zugute.


Inwiefern?


1999 gab es den Versuch in Oberösterreich ein europäisches Filmfestival zu etablieren, die KINOVA. Sie fand aus verschiedenen Gründen nur einmalig statt. Aber die Jugendfilmschiene gibt es bis heute. Sie geht auf eine Idee von Hans Schoiswohl zurück. Er war Lehrer, gab seinen Job auf und gründete das Jugend Medien Festival YOUKI. Ich bin über Schulfreunde dazugekommen.


Hans Schoiswohl hatte eine gute Art, mit jungen Menschen umzugehen.


Definitiv. Er hatte die große Gabe, uns zu motivieren und uns sehr früh Verantwortung zu übertragen.

Hans hat uns für voll genommen. Für ihn galt: 'Was für die Jungen relevant ist, ist für mich relevant'.

Bei YOUKI bekam ich mit 16 oder 17 ein eigenes Budget für kleine Projekte. Das war für den damaligen Kulturbetrieb in Wels etwas Neuartiges.


YOUKI war Experimentierlabor und trug die Handschrift einer breiten Auffassung von Bildung. Was hast du von Hans Schoiswohl gelernt?

Toleranz zu üben, ohne gleichgültig zu sein.

Oder anders gesagt: Hans schaffte eine Atmosphäre der Leichtigkeit trotz inhaltlicher Strenge. Er war niemals belehrend. Er nahm uns als mündige Gegenüber. Wir konnten Dinge ausprobieren, Grenzen ausloten und lernten, für das was wir tun, einzustehen. Er hat unsere kulturelle Wahrnehmung oder Begeisterung für Genres niemals bewertet.

Das stärkt sicher das Selbstbewusstsein.


Und die Selbstkritik. Aber nicht nur das.

Für Stadtpolitik und Sponsoren waren wir schon als Jugendliche keine Unbekannten, weil wir eigene Projekte verantworteten.

Das war sehr wertvoll, als ich YOUKI als Festivalleiter übernommen habe.


Warst du immer schon filmbegeistert?


Als ich zum Filmfestivalbetrieb kam, entstand in Wels gerade das Medien Kultur Haus als Zusammenschluss mehrerer Kulturvereine und Initiativen.

Damit steckte ich früh in einem Netzwerk, das sich rund um die europäische Medien- und Filmwelt spannte.

Rückblickend hätte es thematisch auch etwas Anderes werden können. Ich sehe es als glückliche Fügung und ich mache diesen Job sehr gerne.


2009 traf das YOUKI ein trauriger Schicksalsschlag.


Hans war schwer erkrankt und starb im Jänner 2009. Seine beiden Vorstandskolleginnen – die Wiener Drehbuchautorin Heide Kuba und Iris Brunnbauer-Kransteiner – wollten ihre Ära damit auch beenden und das Festival den Jugendlichen selbst in die Hand geben.

Ich wurde mit 21 Festivalleiter. Es gab Gespräche mit der Politik und den wichtigsten Sponsoren und man sprach uns das Vertrauen aus.

Impressionen YOUKI 2014, Fotos © YOUKI


Wer war uns?


Unter anderem Rudolf Agner und Laura-Lee Röckendorfer, die wie ich mit YOUKI groß wurden, der mittlerweile sehr renommierte Experimentalfilmemacher Siegfried A. Fruhauf, der im Medien Kultur Haus seinen Zivildienst absolviert hatte und mehrere Jahre für das YOUKI-Filmprogramm verantwortlich zeichnete und natürlich Sebastian Höglinger. Er kam damals neu ins Team. Ich hatte ihn bei Crossing Europe in Linz kennengelernt und fragte ihn, ob er mit mir das YOUKI leiten möchte.

Für uns war es die Chance, Wels zum Knotenpunkt eines international anerkannten Jugendfilmfestivals zu machen.

Als Duo zeichneten wir bis 2014 verantwortlich. Wir haben versucht verstärkt, Spielarten von Pop- und Jugendkultur sowie Konzerte und die Diskursschiene Media Meeting ins Festival einzubringen.



Zeitgleich habt ihr bei anderen Festivals wie der Diagonale, dem Festival des österreichischen Films, mitgearbeitet und fertigstudiert.


Ja, wir haben Film- und Medienwissenschaften studiert. Das waren dichte Jahre. Aber alle Jobs waren eine echte Bereicherung. Wir sammelten Erfahrungen, Wissen und Kontakte.


2014 machte eure Vorgängerin bei der Diagonale, Barbara Pichler, den Weg frei für eine neue Leitung.


Wenn ich zurückblicke, muss ich sagen: Sie war ein besondere Führungspersönlichkeit. Weder betrachtete sie die Diagonale als Hoffestival ihrer Intendanz, noch wollte sie sich dort selbst verwirklichen. Sie wollte mit anderen gemeinsam etwas entwickeln und beschloss aus eigenen Stücken, weiterzuziehen. Etwas recht Untypisches im Kulturbetrieb. Auch wir verstehen unsere Intendanz auf Zeit.


Diagonale-Intendanten Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger

Foto links © Diagonale/Natascha Unkraut

Foto rechts © Diagonale/Alexi Pelekanos


Wann zieht ihr weiter?


Wir haben uns bis 2021 verpflichtet. Noch haben wir glücklicherweise Ideen und Konzepte.


Das politische Netzwerk von Kulturmanagerinnen und -managern ist für die Karriere nicht unbedeutend.


Das kann ich nicht bestreiten.

Die Diagonale hat allerdings eine ungewöhnliche Geschichte: Sie wird seit 1998 von politisch denkenden, aber politisch unabhängigen Menschen geleitet.

Kultur- und Filmschaffende nutzen sie beispielsweise im Jahr 2000 als eine von mehreren Plattformen für regierungskritische Proteste gegen die schwarz-blaue Regierung. Das blieb nicht ohne Folgen. Im Jahr 2004 wurde sie selbst zum Politikum. Staatssekretär Franz Morak versuchte der damaligen Intendanz einen Riegel vorzuschieben und eine regierungskonforme Festivalleitung zu installieren. Das löste enormen, parteiübergreifenden und beachtlich breiten Widerstand aus und führte zur sogenannten „Gegendiagonale“. Letztlich ist Morak gescheitert und die Diagonale wurde strukturell neu aufgestellt. Ein kulturpolitisches Lehrstück.


Ward ihr überrascht, als ihr als junge Bewerber den Zuschlag für die Leitung von Österreichs zweitgrößtem Filmfestival nach der Viennale bekommen habt?


Schon, aber wir kannten den Festivalbetrieb gut. Sebastian und ich haben mit Barbara Pichler über mehrere Jahre zusammengearbeitet. Das war sicher ein Vorteil, denn wir haben von ihr viel gelernt. Wir wollten anfangs bloß in die zweite Runde der Hearings kommen. Dass wir uns letztlich vor der Jury durchgesetzt haben, war ein sehr schöner persönlicher Erfolg.


Seit damals zeigt ihr ein gutes Händchen für ein Programm, das die nächste Generation an Film-Fans anzieht.


Das ist unser erklärtes Ziel.

Ich glaube es gelingt deshalb so gut, weil wir die Diagonale als Ort flacher Hierarchien gestalten wollen. Junge Menschen sollen spüren, dass wir uns für sie interessieren.

Das kommt mir bekannt vor: "Was für die Jungen relevant ist, ist für mich relevant"


Das Motto von Hans Schosswohl lebt weiter. Wir binden jüngere Leute als Moderatorinnen und Moderatoren ein, in Diskussionen, in Schulvorstellungen. 2019 ist unser Vermittlungsprogramm in der Helmut List Halle sehr gut angekommen: An die 1.000 Schülerinnen und Schüler haben sich mit österreichischem Film beschäftigt. Das freut. Und natürlich spielt Eventisierung eine Rolle.


Meine Kinder sind zwischen 15 und 21. Welche österreichischen Filme empfiehlst du?


Genrefilme wie "Die letzte Party deines Lebens" natürlich. Oder großartige Kinoerlebnisse wie Stephan Richters „Einer von uns“. Um über die Leinwand einen klugen und ansprechenden Einstieg in die Auseinandersetzung mit Österreich und seiner hochspannenden und ambivalenten Geschichte zu finden, die wunderbaren Filme von Ruth Beckermann. Und natürlich Filme, die nicht einfach den Wunschzettel erfüllen, sondern auf andere Weise betörend, überraschend oder lustig sind wie "Apfelmus" von Trickfilmer Alexander Gratzer.


Apropos Wunschzettel. Ihr trefft gerade die Filmauswahl für die Diagonale'20. Wer entscheidet, was ins Programm kommt?


Als Doppelspitze verantworten Sebastian und ich gleichberechtigt Geschäftsführung und künstlerische Leitung. Seit YOUKI ist das für uns die optimale Arbeitsweise.

Wir überlegen uns, was wir inhaltlich machen wollen und setzen um, was das Budget zulässt. Jeder hat seine berechtigte Stimme.

Eröffnung Diagonale'19, Foto links © Diagonale/Sebastian Heiserer Foto rechts © Diagonale/Miriam Raneburger


Klingt gut eingespielt. Eure Bilanz 2019 war erneut ein Erfolg mit 180 Werken und erstmals 32.900 Besucherinnen und Besuchern. Was zählt außer verkaufte Kinotickets?


Wir müssen einen dreibeinigen Spagat schaffen: Erstens als Publikumsfestival Menschen interessieren, zweitens ein Programm gestalten, das eine Haltung transportiert und eine kuratorische Handschrift hinterlässt und drittens den österreichischen Film repräsentieren.


DER österreichische Film – was ist das heute?


Vielmehr als Filme, in denen ein österreichisches Idiom gesprochen wird. Wir zeigen Filme von österreichischen Filmschaffenden, von Filmschaffenden, die ihren Arbeits- und Lebensmittelpunkt in Österreich haben und Filme, die überwiegend mit österreichischen Geldern finanziert wurden.

Ein Diagonale-Film kann also jede Sprache sprechen. Das ist als politisches Statement zu verstehen.


Wir bringen alle Genres und Filmlängen – vom Dokumentarfilm, Spielfilm bis zum für Österreich typischen Experimentalfilm.


Welche Trends machst du aus?


Das variiert von Jahr zu Jahr. Natürlich haben globale Trends wie Serien Einfluss auf den österreichischen Film oder auch die Sehnsucht nach großen US-Produktionen.

Ansonsten sehe ich aktuell die Hinwendung zum Genrefilm und den Versuch einiger Filmschaffender, das Österreich-Label des Tristen oder des Feel Bad Cinemas zu hinterfragen und eine neue Handschrift zu zeigen, wie das zum Beispiel Jessica Hausner sehr erfolgreich macht.

Aber auch jüngere, weniger bekannte Filmemacherinnen und Filmemacher im Experimentalbereich wie Antoinette Zwirchmayr oder Johann Lurf stellen neue Fragen an das Kino.


Welche neuen Fragen?

Markant ist ihr kritischer Blick auf den Medienübergang vom Analogen zum Digitalen.

Viele arbeiten deutlich heraus, was die Vorteile des Analogen sind z. B. des Kinos als sozialem Ort, wo man Freunde trifft, Spaß hat und diskutiert im Gegenzug zum Streamen im Wohnzimmer, was oft ein einsames Unterfangen sein kann. Lurf verwendet dazu bewusst analoge Filmformate. Das finde ich ziemlich spannend und es ist ein Diskurs, der sich sehr gut über die Plattform eines Festivals wie der Diagonale transportieren lässt.


Wie betörend, überraschend oder lustig die Filmauswahl der Diagonale'20 sein wird, verrät die Preview Ende Jänner und das Festival des österreichischen Films selbst von 24.-29. März 2020 in Graz. Ich freu mich darauf, wenn es wieder "Film ab" heißt.



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