Astronom und Science Buster Florian Freistetter bringt den Kosmos in den Alltag und Wissenschaft ins Kabarett. Im Salon Profession verrät er, warum schwarze Löcher zu einem komplett neuen Verständnis des Universums führen könnten, warum die Leute unbegründet Angst vor Wissenschaft haben und besser nicht an Horoskope glauben sollten. Sein Gegenentwurf ist einfach: gute Wissenschaftskommunikation.
Im Gespräch mit Doris Passler
Voll heiß, so eine Global Warming Party. Florian Freistetter lässt sich demonstrativ den Kopf anzünden und erklärt den Klimawandel. Die neue Science Musters Show startet corona-bedingt im August. Photo © SC Optical Engineers
Salon Profession: Du wolltest immer Wissenschaftler werden. Vor zehn Jahren hast du dich vom Wissenschaftsbetrieb verabschiedet. Warum keine klassische Forschungskarriere?
Florian Freistetter: Das war nicht so geplant. Ich hab' nach dem Doktorat als Astronom an der Universität Wien, dann an der Sternwarte in Jena und am Astronomischen Rechenzentrum in Heidelberg geforscht. Wie man das halt so macht. Ich habe mich aber auch schon früh für Öffentlichkeitsarbeit begeistert.
Ungewöhnlich. Das ist ja bei Wissenschaftlern eher verpönt.
Ich war immer der Meinung, dass man nicht nur forschen, sondern den Leuten auch erzählen sollte, was man geforscht hat.
Das hat drei Gründe: Als reine Grundlagenwissenschaft wird die Astronomie im Vergleich zu anderen Forschungsdisziplinen fast komplett aus öffentlichen Geldern finanziert. Also soll die Öffentlichkeit auch erfahren, was mit ihrem Geld passiert. Zweitens haben wir keine Lobby und keine Industrie, die uns unterstützt. Wenn an Unis eingespart wird, dann zuerst dort, wo es keinen stört:
Wird ein Krankenhaus zugesperrt, dann regt das die Leute auf. Wenn eine Sternwarte schließt, juckt das niemanden.
Drittens redet man gerne darüber, wenn man etwas gerne macht – etwa bei Vorträgen oder als Vermittler beim Tag der offenen Tür an der Uni.
Du warst 2008 einer der ersten Blogger Österreichs mit deinem Wissenschaftsblog "Astrodicticum Simplex".
Ich wollte neue Möglichkeiten finden, mit den Menschen in Kontakt zu kommen.
Es gibt nämlich wahnsinnig viele, die noch gar nicht wissen, dass sie sich für Wissenschaft interessieren.
Drum dachte ich mir, ich probier's mit so einem Online-Blog. Den Leuten hat offensichtlich gefallen, was ich schrieb und ich bekam immer mehr Leser*innen.
Und der Forschungsbetrieb wurde immer unattraktiver?
Die wissenschaftliche Arbeit finde ich heute genauso faszinierend wie damals.
Aber ich hatte immer weniger Lust, unter den an Unis vorherrschenden Umständen zu arbeiten: befristete Verträge, oft nichtmal für ein Jahr. Da kann man gerade ein paar Monate vernünftig arbeiten und der Rest geht für Forschungsanträgen drauf. Kriegt man einen neuen Vertrag, dann meist in einer anderen Stadt, einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent. Das ist vorerst aufregend, aber irgendwann wollte ich Planungssicherheit. Es ging mir ziemlich auf die Nerven. Nachdem mein Vertrag in Heidelberg 2010 auslief, sagte ich mir:
Ich schau mal wie weit ich komme, wenn ich mich ganz auf Wissenschaftskommunikation konzentriere. Eigentlich ein naiver Plan – als Blogger über Astronomie.
Der aber aufging.
Ich hatte die Vorstellung, wenn ich mehr schreibe, kriege ich mehr Leser*innen und dann interessieren sich vielleicht auch Zeitungen dafür.
Mit dem Bloggen habe ich kein Geld verdient, aber viele Leute aus der Medien- und Verlagsbranche, aus Kunst und Kultur kennengelernt. Die hätte ich sonst nie getroffen.
Dann gab's die Idee für das erste Buch. Daraus ergaben sich wiederum Vorträge, Interviews in Radio und Fernsehen und neue Kontakte.
Im Herbst hast du dein neuntes Buch veröffentlicht: "Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen". Worum geht's?
Um die Vergangenheit und die Zukunft des Kosmos, um all die Menschen, die versuchen, die Welt zu verstehen, in der wir leben und darum, was das alles mit unserem Alltag zu tun hat.
Bei Lesungen backe ich deshalb eine Waffel und erzähl' wie die Sterne aus dem Buch, dafür sorgen, dass die Zutaten genauso sind wie sie sind.
Das muss einem erst einmal einfallen.
Man muss den einen Punkt finden, an dem die Menschen eine Geschichte aufnehmen können und alles andere radikal reduzieren. Bei meinen Workshops an Unis sind die Studierenden immer extrem schockiert, wenn ich ihnen sage, was sie alles weglassen können.
Du suchst auch das richtige Drumherum.
Gute Wissenschaftskommunikation übersetzt nicht nur Unverständliches in verständliche Sprache.
Sie bettet den Kern der Geschichte in etwas Alltagsrelevantes ein. Mein erfolgreichster Vortrag heißt: Wieviel Astronomie steckt in einem Glas Bier?
Das kann jeder erforschen und ich kann anhand dessen astronomische Phänomene erklären.
Gibt's da nicht Kritik von Wissenschaftskolleg*innen? Man ist ja schnell nur Popstar?
Wendet sich Wissenschaftskommunikation an die breite Masse, dann ist das in erster Linie Unterhaltung und meine subjektive Meinung. Aber es muss immer Belege geben. Mir ist wichtig, dass Quellen als wissenschaftliche Fachartikel im Volltext frei zugänglich sind. Jede und jeder kann überprüfen, was ich behaupte.
Dein Podcast "Sternengeschichten" schafft es auf bis zu 100.000 Downloads pro Folge.
Anfangs wollte ich testen, ob ich über dieses Medium neue Menschen erreichen kann. Weil wie die Leute Medien nutzen, ist komplett divers. Manche lesen, aber hören und schauen nix. Andere sind nur auf Youtube unterwegs.
Warum sind Podcasts das ideale Medium für Wissenschaftskommunikation?
Weil man auf intensive und intime Art mit den Leuten kommuniziert. Man ist direkt in ihrem Ohr drinnen.
Mittlerweile stecke ich in Podcasts viel mehr Arbeit als in den Blog.
Man kann Komplexes erklären und sehr ins Detail gehen.
Die Sternengeschichten sind zwar ein kurzes Audioformat, aber ich mach' auch längere Podcasts.
Eine Folge des erfolgreichsten deutschen Wissenschaftspodcasts namens 'Methodisch Inkorrekt' dauert drei Stunden und es funktioniert.
Auf Instagram ziehst die Leute als @Astrodicticum mit der Serie "Astronomie in 365 Tagen" an.
Damit experimentiere ich seit letztem Jahr, weil doch auch in diesem Medium Wissenschaft möglich sein muss. Nur hatte ich überhaupt keine Bilder.
Aber Not macht erfinderisch. Ich habe zu Kreide und Tafel gegriffen und kleine erklärende Skizzen gekritzelt.
Dazu gibt's kurze Geschichten mit Wissenswertem aus der Astronomie. Mittlerweile stehe ich bei 6.000 Follower, das ist für Wissenschaft nicht schlecht.
Du bist, glaube ich, der einzige Astro-Influencer – so einzigartig wie das Universum unbegreiflich ist. Wenn du über Astroiden, Sterne, Planeten, schwarze Löcher oder den kosmischen Hintergrund redest, bekommt man eine vage Idee davon, was das Universum für die Menschheit bedeutet. Zwar kann man sich das meiste nicht vorstellen, aber man hört gerne zu und denkt sich einfach wow.
Deshalb gibt es auch die Science Busters. Die große Idee von Heinz Oberhummer war es, den Leuten die Angst vor der Wissenschaft zu nehmen.
Sitzen sie einmal im Kabarett, kann man ihnen darüber erzählen und bevor sie es merken, haben sie was gelernt.
Euer neues Programm heißt "Global Warming Party". Die Tour startet coronabedingt verspätet im August. Was sollen die Leute lernen?
Wir rütteln mit Witz zu dem fundamental wichtigen Thema Klimawandel wach und fragen etwa 'Wohin sollen wir auswandern, wenn auf der Erde der Klimawandel gewinnt?" Das bringt die Leute zumindest zum Nachdenken.
Das mit dem Lernen ist ja gar nicht so einfach: Wer heute studieren will, muss meist die Hürde einer Aufnahmeprüfung nehmen. Findet man so die größten Talente?
Das glaube ich nicht. Ich wäre niemals Astronom geworden, hätte es dieses System 1995 gegeben.
In der Schule war ich in Mathematik der Schlechteste und in Physik nur mittelmäßig. Aber ich habe Stephen Hawking gelesen und wollte schwarze Löcher erforschen. Ich dachte fälschlicherweise, das lernt man im Astronomie-Studium. Eigentlich hätte ich theoretische Physik oder Mathematik studieren müssen.
War Mathe an der Uni leichter?
Bei der ersten Prüfung bin ich durchgefallen. Heute weiß ich, dass der Unterricht in der Schule einfach schlecht war. Als Student hab' ich bei Null angefangen und im dritten Semester stand ich auf einer Eins. Weil ich begeistert war.
Was macht ein Astronom eigentlich?
Man sitzt nicht im Dachzimmer und blickt in den Himmel. Durch ein Teleskop habe ich erstmals am Tag nach meiner Diplomprüfung geschaut.
Die ganz großen Teleskope gibt es überall auf der Welt, aber sie sind heillos überbucht. Will man etwas beobachten, muss man das beantragen und wissenschaftlich begründen. 80 Prozent der Anträge werden abgelehnt. Ich hab dazu mal eine Podcast-Folge gemacht. Ansonsten analysiert man vor allem Daten, macht Simulationen, berechnet Formeln und zieht Schlüsse daraus. Alles sehr theoretisch. Ich habe mich auf Himmelsmechanik spezialisiert – also die Bewegung der Himmelskörper.
Welche Qualitäten braucht ein Astronom*in?
Man muss kreativ sein, sich überlegen, welche Fragen es sich lohnt zu untersuchen.
Wenn man mit Kolleg*innen in der Kantine sitzt, ist das nicht nur Zeitvertreib. Dort kommen neue Ideen für Forschungen. Das sind wichtige Gespräche.
Die meiste Zeit schreibt man aber öde Computerprogramme. Das nervt manchmal. Für eine Forschungskarriere muss man außerdem Vorträge halten und in Fachjournals publizieren.
Warum kann man sich nicht mehr wie Isaac Newton von seinem Wissensdrang beliebig treiben lassen?
Im 18. und 19. Jahrhundert wurde universal geforscht. Man sammelte Insekten, schaute ins Teleskop, machte Experimente. Die Menschen wussten nichts.
Heute muss man froh sein, wenn man den Überblick gewinnt, was es an Wissen auf einem Gebiet bereits gibt, damit man etwas Neues beitragen kann. Wir waren einfach zu erfolgreich.
Forschungskarrieren sind darum eher möglich, wenn man sich spezialisiert.
Von Astrologie und Ufologie hältst du wenig?
Mein Grundsatz war immer: Das Zeug ist so und so da. In jeder Zeitung gibt's ein Horoskop. Es hat keinen Sinn, Pseudowissenschaften als Blödsinn zu bezeichnen und sich weiter nicht damit zu beschäftigen, denn sie stehen echter Wissenschaft feindlich entgegen. Wie es so schön heißt:
Wer nichts weiß, muss alles glauben.
Mit dem Aphorismus hatte Marie von Ebner-Eschenbach schon recht.
Deshalb versuche ich möglichst viel über echte Wissenschaft zu erzählen.
Was war die letzte große Entdeckung der Astronomie?
Seit mehr als 2.000 Jahren fragt sich die Menschheit, ob es eine andere Welt als die unsere gibt.
Das heißt?
Ob es Planeten gibt, die andere Sterne als unsere Sonne umkreisen.
Vor 25 Jahren entdeckten die Schweizer Astronomen Michel Mayor und Didier Queloz den ersten Exo-Planeten außerhalb unseres Sonnensystems. Er heißt 51 Begast b und ist 50 Lichtjahre von der Erde entfernt. Letztes Jahr haben die beiden dafür den Physiknobelpreis bekommen.
2019 gab's eine weitere fundamentale Errungenschaft: das erste Bild schwarzer Löcher. Das ist schwer vorstellbar.
Man kann ein schwarzes Loch nicht direkt sehen, aber seine Umgebung. Teleskope auf der ganzen Welt wurden für dieses Bild zusammengeschalten. Und es wird weitere Bilder geben.
Was bedeutet das für die Menschheit?
Es ist zunächst ein großer kultureller Erfolg. Genauso wie es manche begeistert, die 5. Sinfonie von Beethoven zu hören oder die Mona Lisa zu betrachten, gibt es Menschen, die ein Bild schwarzer Löcher fasziniert, weil sie über das Universum und unsere Existenz nachdenken.
Nicht umsonst ist die Astronomie eng mit der Religion oder Philosophie verknüpft. Unsere Planeten sind nach Göttern benannt. Sternbilder erzählen Mythen.
Und wissenschaftlich?
Das Bild schwarzer Löcher kann der erste Schritt zu einem komplett neuen Verständnis unseres Universums sein.
Wozu ist das nötig?
Wir haben zwei Theorien, die für sich behaupten, das gesamte Universum zu beschreiben: die Relativitätstheorie von Albert Einstein und die Quantenmechanik.
Sie sind die Fundamente moderner Naturwissenschaft. Beide sind extrem gut durch Beobachtungen bestätigt. Dank Quantenmechanik machen wir beide jetzt diesen Videocall. Jeder Fernseher, jedes elektronische Gerät funktioniert, weil die Quantenmechanik richtig ist. Wir haben das Navi im Auto, weil die Relativitätstheorie so gut funktioniert. Wir wissen aber, dass beide Theorien noch nicht das letzte sind.
Was fehlt denn?
Wendet man beide Theorien auf ein Objekt an, tun sich Widersprüche auf. Solche Objekte sind schwarze Löcher.
Denn ein schwarzes Loch hat soviel Masse, dass ich dafür unbedingt die Relativitätstheorie brauche. Gleichzeitig ist es so klein, dass ich auch zwingend die Quantenmechanik anwenden muss, wenn ich das Teil verstehen will. Wenden wir beide Theorien gleichzeitig an, kommt aber Unsinn raus.
Das heißt, wir brauchen eine neue Theorie. Doch da stochert die Wissenschaft noch im Dunkeln.
Tipp: Lust auf Wissenschaft? Die Science Busters sind ab 7. August 2020 open air in Wien zu sehen: Tickets
https://florian-freistetter.de
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