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AutorenbildDoris Passler

Wir brauchen eine Versuchskultur

Philipp Oberlohr liest Gedanken und entführt mit Charme in eine Welt der Illusionen. Ganz ohne Hasen im Hut und zersägten Damen. Der Mentalist sprengt die Grenzen zwischen Fiktion und Realität und bringt Unternehmen und Jugendliche dazu, Undenkbares zu tun. Wie er sein Publikum verzaubert und aus einem Kindheitstraum einen unvorstellbaren Beruf machte, verrät er hier.

Im Gespräch mit Doris Passler


Philipp Oberlohr ist ein Meister der Illusionen. Foto © Anne Monti


Salon Profession: Kannst du wirklich Gedanken lesen oder ist alles nur ein Spiel?


Philipp Oberlohr: Es gibt den sehr großen Wunsch der Menschen, das Chaos in der Welt zu verstehen. Wie wir uns Unerklärliches erklären, hängt allerdings entscheidend von den eigenen Glaubenssätzen ab. Darum richte ich zu Beginn meiner Shows gerne eine Frage an mein Publikum:

"Dieses Spiel ist fair. Aber warum solltet ihr mir glauben? Ich bin doch bloß ein Fremder."

Es geht darum, was man selbst für echt hält und was nicht?


Genau.


Provokant gefragt: Führst du die Leute damit nicht hinters Licht?


Das ist ein wichtiger Punkt. Ich schaffe Illusionen - also Scheinwelten - und bin mir meiner Verantwortung sehr bewusst. Meine erste Show war “séance. eine interaktive illusion”. Zur Erklärung: Eine Séance ist ein spiritueller Zirkel und dafür gibt es in London eine große Szene.

Aber natürlich kann ich keine Geister beschwören. Manche Menschen glaubten es trotzdem. Deshalb wäre es für mich unmoralisch, damit weiterzumachen.

Ich möchte nicht, dass Menschen, die jemanden verloren haben, durch meine Performance dem fälschlichen Glauben unterliegen, sie könnten real mit Verstorbenen Kontakt aufnehmen. Die Séancen waren für mich ein Experiment im Genre des immersiven Theaters. Immersiv bedeutet dabei, dass die Betrachter komplett in eine Scheinwelt eintauchen.


Deine Show "Das Spiel" ist seit drei Jahren auf Tour. Was lieben die Leute daran?

Es ist wohl die Lust, Geheimnisvolles zu entlüften und die Bereitschaft, sich zu fragen, warum man glaubt, was man glaubt. Das ist mein Ziel: Ich möchte, die Menschen zum Zweifeln bringen.

Für alles, was an so einem Theaterabend passiert, gebe ich eine Struktur vor, die Freiraum für die Zuschauer lässt. Wie sehr die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen, hängt immer stark vom Publikum ab. Gemeinsam ist allen aber, dass sie mit Begeisterung alle möglichen Erklärungen für die erlebten Phänomene suchen und diskutieren (schmunzelt).



Das stimmt. Nach deiner Performance stehen die Leute zusammen und wollen wissen, was war Schein und was Wirklichkeit.

Das macht die Form des Illusionen-Theaters so einzigartig. Es schafft Begegnungen zwischen Fremden. Es öffnet Türen und verbindet.

Ich bin davon überzeugt, dass ein unsichtbares Netz an Verbindungen zwischen den Menschen auf dieser Welt existiert. Sie zeigen sich manchmal als Zufälle.


Könnte stimmen. Deine Zauberkarriere kam unerwartet auf einer Alm in Tirol ins Rollen.


Ja. Ich war zehn und meine Eltern hatten mich zu einem Ausflug auf die Magdalena-Hütte mitgeschleppt. Den letzten freien Tisch teilten wir mit einem Ehepaar, das wissen wollte, was ich gerne tue. Ich sagte, zaubern. Ein paar einfache Tricks hatte ich damals schon auf Lager und war wohl wie jedes Kind vom Zaubern fasziniert. Der Zufall wollte es, dass der Sohn der beiden Zauberkünstler war und ich durfte ihn bald darauf in Innsbruck kennenlernen.


Wer war das?


Thomas Huber, heute Psychologe, Psychotherapeut, Humor-Coach und Clowndoktor bei den Roten Nasen. Er war damals knapp zwanzig und wurde mein Lehrer und Mentor. Wir waren einige Jahre im Zauberring Innsbruck aktiv. Dort wurde mir der Begriff des klassischen "Zauberns" bald zu eng. Ich hatte inzwischen die sehr aktive Schultheaterszene an meinem Gymnasium entdeckt und war begeistert.


Es gab auch große Auftritte.

Wir arbeiteten mit sehr vielen, tollen Regisseuren zusammen. Manche kamen aus Italien oder Serbien.

Auch nach der Matura machte ich leidenschaftlich gerne damit weiter.


Lag es nicht auf der Hand, Schauspiel zu studieren?


Das kam später. Ich wollte anfangs nicht weg aus meinem Heimatort Hall in Tirol. Alle meine Freunde zog es in die Welt hinaus. Ich war nicht bereit dafür und studierte zuerst Physik. Ich wollte die Relativitätstheorie verstehen, habe aber bald aufgegeben (lacht). Dann kam der Zivildienst bei der Lebenshilfe. Die Arbeit dort hat mich sehr berührt.

Ich habe erlebt, wie großartig Menschen mit Behinderungen ihr Leben führen und mit welcher Freude. Unvorstellbar, dass dieses Leben einmal als nicht lebenswert galt.


Dir wurde die dunkle NS-Vergangenheit des psychiatrischen Krankenhauses in Hall bewusst?


Ja. Dreieinhalb Jahre untersuchte eine interdisziplinäre Expertenkommission, ob es dort zwischen 1942 und 1945 systematischen Krankenmord gab. Der Verdacht der Euthanasie wurde in dieser Form zwar nicht bestätigt, jedoch dürften die Patienten im Krankenhaus unter menschenunwürdigsten Verhältnissen gelebt haben und es gab eine sehr hohe Sterblichkeit.

Ich bin mit einer amerikanischen Jüdin verheiratet und die NS-Vergangenheit meines Heimatortes beschäftigt mich. Aber auch die der eigenen Familie.

Der Bruder meiner Großmutter ging als junger Mann zur SS und ist in Russland gefallen. Vielleicht müssen wir hier noch einiges aufarbeiten.


Du hast katholische Theologie studiert und danach Körpertheater in London. Keine naheliegende Kombination.


Das stimmt. Dennoch war keine dieser Ausbildungen für mich vergeudete Zeit.

Als Illusionist und Mentalist verbinde ich heute drei Dinge: die frühe Leidenschaft fürs Zaubern, die Theologie und das Theater.

Ich lernte Leute kennen, die eine sehr faszinierende und ausdrucksstarke Form des Körpertheaters nach dem französischen Pionier Etienne Decroux ausübten. Decroux machte in den 30er Jahren damit Furore. Er starb 1991. Aber in London gab es noch eine dreijährige Schule, die seine strenge Methodik der Körperausbildung, die Mime corporel dramatique, lehrte.



Was hast du dort gelernt?

Meinen Körper wie ein Instrument zu spielen und die Körpersprache des Publikums zu lesen.

London ist teuer, wie hast du das finanziert?


Die Ausbildung kostete 3.000 Pfund im Jahr. Ich habe sie selbst finanziert mit Aushilfsjobs vom Kuchenbäcker bis zum Fliesenleger und lebte auf Minimalniveau, kam mit extrem wenig Geld aus. Ich habe in Löchern gelebt.


Was haben Deine Eltern dazu gesagt?

Meine Eltern wollten, dass ich tue, was mir Freude macht. Das muss ich ihnen hoch anrechnen.

Ich komme nicht aus einem künstlerischen Umfeld und meine Lebensweise zeichnete sich als gegensätzlich zu der ihren ab. Mein Vater hatte immer einen fixen Job, doch sein Beruf war keine Herzenssache. Das Wichtigste waren ihm Sicherheit und Stabilität für die Familie. Diese Sorge hat er mir ein wenig mitgegeben. Meine Frau und ich sind beide freischaffend und haben kein großes Sicherheitsnetz als Familie mit einem vierjährigen Sohn.

Vielleicht habe ich mir deshalb einen Beruf ausgesucht, für den ich kein Equipment außer mein eigenes Können benötige. Damit bin ich unabhängig von großen Investitionen.


Und deine Mutter?


Meine Mutter war Seelsorgerin und Supervisorin. Mit dem Genre der Zauberei und seinem dubiosen Touch hatte sie ihre Schwierigkeiten. Aber mein Erfolg in dieser Nische freut sie sehr.


Wie hast du deine Form des Theaters gefunden?


Ich war 27. Die Ausbildung war fertig und ich hatte keinen Plan. Bis ich 2010 über eine Kollegin auf das Künstlerkollektiv Shunt traf. Die machten damals etwas revolutionär Neues. Immersives, experimentelles Theater im Labyrinth der U-Bahnbögen unter der London Bridge Station.

Stunt begeisterte die Londoner mit absurden, phantastischen, fiktiven Welten, in die das Publikum als Teil des Geschehens eintauchte. Mir wurde klar: So muss eine Zaubershow sein.

Ich war inspiriert und entwickelte in London meine erste Show - "séance: eine interaktive illusion".


Heute bist Du ein Meister darin, die Leute in eine Scheinwelt zu entführen. Was ist dabei wichtig?

Jeder im Publikum sieht die Welt durch die eigne Brille. Das drückt sich durch Körpersprache aus und die muss ich lesen. Je nachdem welches Erklärungsmodell ich unterstützen will, säe ich den einen oder anderen Samen.

So wie in "Das Spiel", wo ich anfangs ankündige, dass mir meine Gäste glauben können oder auch nicht. Nach einer Aufführung in London kam einmal ein Mann auf mich zu und sagte: "Ich bin mir sicher, dass die Protagonisten deiner Show alle Schauspieler sind". Ich antwortete: "Stimmt", obwohl es nicht stimmte, was er mir wiederum nicht glaubte. Das brachte mich auf eine Idee.



Ich wollte eine Show schaffen, in der jeder im Publikum glaubt, dass alle anderen Eingeweihte sind und das Stück eigens gemacht wurde, um ihn zu täuschen.

In ähnlicher Form gab es das in Literatur oder Film bereits - zum Beispiel im US-Thriller "The Game" oder der "Truman-Show". Live war das neu.


Wenn man den Illustionisten und Mentalisten Philipp Oberlohr engagiert, was gibt es im Repertoire?


Zwei Shows: "Das Spiel" und "Das Fest", die in Theatern oder an ungewöhnlichen Spielorten wie der Virgilkapelle in Wien aufgeführt werden. Für Firmen entwickle ich Workshops in Kontexten von Customer Relation Management oder Customer Experience. Formate, die auf Wirtschaftskongressen beliebt sind. Oder ich denke mir etwas rund um Unternehmenskultur aus wie zuletzt beim Corporate Culture Jam in der Schweiz.


Unternehmen buchen auch gerne den Workshop "Das Undenkbare tun". Was tut sich da?


Mich fasziniert, wie es gelingt, Denkmuster zu durchbrechen und sich neue Wege vorzustellen. Unser Denkvermögen ist in dieser Hinsicht verkümmert. Denn die vorherrschende Fehlerkultur lenkt den Fokus auf Hindernisse statt auf Möglichkeiten. Das ist schade.

Ich bin hingegen überzeugt: Wir brauchen eine Versuchskultur.

Darum schaffen wir im Workshop einen Ort, wo man beginnt Dinge in Betracht zu ziehen, die man zuvor nicht einmal denken konnte. Das funktioniert meist nicht über den Kopf, sondern übers Tun.



Mit diesem Ansatz förderst du auch Jugendliche in der Ferrari-Schule in Innsbruck.


Ja. Ich unterrichte im Kreativzweig. Eine schöne Arbeit mit vor allem jungen Mädchen. Ich mache mit ihnen die Übung "Fünf imaginäre Leben": Sie sollen sich vorstellen, sie hätten fünf Leben und könnten sich jedesmal aussuchen, was sie beruflich werden wollen - mit der Garantie, dass das auch gelingt. Allerdings habe ich immer mindestens eine in der Klasse, die sich einen reichen Mann wünscht, der für ihr Auskommen sorgt.

Mit der Übung bringe ich sie zumindest auf die Idee, dass sich ihr Wunsch nach Reichtum doch auch durch ihr eigenes Schaffen erfüllen könnte. Für manche, ist das anfangs undenkbar. Meist kommen dann aber ungeahnte Talente zum Vorschein.


Um Versuchskultur geht es auch in deiner ersten Keynote-Performance.

Ja. Ich sehe in Versuchskultur den Schlüssel für Change in Organisationen, Gesellschaften und in der persönlichen Entwicklung. 2020 will ich damit auf die Bühne.


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